"Wer Hamburg heute auf dem Fahrrad erkunden will, wird bitter enttäuscht - schlimmer noch, er riskiert auf den Radwegen stellenweise sogar sein Leben. ... Ist eine Fahrt auf Hamburgs Radwegen schon am Tage eine echte Herausforderung, so wird sie bei Dunkelheit zu einem lebensgefährlichen Abendteuer."
(Dirk Fischer, damals Landesvorsitzender der Hamburger CDU, am 24.08.2000)

"... Die Polizei warnt mittlerweile vor den konventionell angelegten Radwegen, weil diese 'leider nur eine trügerische Sicherheit bieten'. Denn in jedem Jahr sterben Radler, die von Rechtsabbiegern übersehen wurden. ..." (aus dem Tagesspiegel vom 10.01.2001 zur Berliner Unfallstatistik 2000)

"Der desolate Zustand vieler Rad- und Fußwege wird beseitigt, um die Verkehrssicherheit wiederherzustellen." (aus dem Hamburger Koalitionsvertrag 2001)

"Der Leichtigkeit des (motorisierten) Verkehrs darf gegenüber der Sicherheit von Radfahrern kein Vorrang eingeräumt werden." (aus dem Urteil des VG Berlin vom 12.11.2003 - VG 11 A 606.03, VRS 106, 153; NZV 2004, 486 mit Anm. Kettler S. 488 - rechtskräftig)

Radwegehaß

von Dr. Frank Bokelmann, Hamburg

Es war der 27.05.1984, ein Sonntagnachmittag mit viel Sonne. Ich fuhr wieder einmal einen dieser neuen Radwege in Berlin. Diese Fahrt beendete ein Rechtsabbieger. Damit landete ich in einer Statistik, die fast zwei Jahrzehnte später noch Zeichen 237 und 241 von Berliner Schildermasten rütteln sollte [Nachtrag Juli 2003: und doch gibt es dort jedes Jahr auffällig viele durch Rechtsabbieger (meist Lkw) getötete Radfahrer (siehe Zeitungsberichte und die dpa-Meldungen vom 03.05.2005 und vom 19.05.2005: "In Berlin hat es im vergangenen Jahr mehrere vergleichbare Unfälle gegeben, bei denen Radfahrer von abbiegenden Lastwagen übersehen wurden.")]. Es dauerte 10 Wochen, bis ich wieder auf ein Rad steigen konnte. Und ich habe noch Glück gehabt ...

Dabei kann ich nicht mal schlecht radfahren. Einen Führerschein habe ich auch. Das Radfahren auf Fahrbahnen empfinde ich deshalb - vor allem innerorts - als etwas relativ Normales und Einfaches. Ganz anders sieht es auf den Radwegen auf Bürgersteigen aus. Sensibilisiert durch meinen Unfall habe ich später Radwege immer mit beiden Händen an den Bremsen befahren - eine Vorsichtsmaßnahme, die gar nicht oft genug empfohlen werden kann. Da sind nicht nur die rechtsabbiegenden Kfz, die einem Radfahrer auf dem Radweg gefährlich werden können. Es gibt noch die aus Grundstücksausfahrten herauspreschenden Kfz, die immer genau am Fahrbahnrand stoppen und so völlig unvorhersehbar den Radweg sperren, die in Grundstücksausfahrten hineinpreschenden Kfz, die wenigstens nicht genau auf dem Radweg stehen bleiben, die Beifahrer, die Türen so öffnen, daß von einem Augenblick auf den anderen der Radweg blockiert ist, die Radfahrer, die einem auch noch den schmalsten Radwegen entgegen kommen (meist auch noch erlaubter- bzw. erzwungenermaßen!), die Fußgänger, die abrupt die Gehrichtung ändern, um an den auf der anderen Seite des Radwegs an einem Laternenpfahl aufgehängten Mülleimer zu treten, und die Hinterwäldler, die auf dem gesamten Bürgersteig ohne besondere Beachtung des Radweges herumeiern - eine Liste ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. In meinen Augen ist es daher nicht verwunderlich, daß immer wieder z. B. Radfahrer auf Radwegen von Lkw überrollt werden - es ist m.E. vielmehr systemimmanent. Auf der Böswilligkeit der anderen Verkehrsteilnehmer beruht es jedenfalls nicht - soviel ist sicher.

Radfahren auf dem Radweg ist aber nicht nur saugefährlich sondern auch - wenn man denn sicher unterwegs sein will - sehr anstrengend. Während ein Radfahrer auf einer Fahrbahn nicht sehr viel mehr können muß, als halbwegs geradeaus und nicht zu dicht an geparkten Kfz vorbei zu fahren sowie Zebrastreifen, Ampeln und Vorfahrten zu beachten, weil die meisten Verkehrsschilder eigentlich dem Kfz-Verkehr gelten (z. B. Park- und Halteverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Gewichtsbegrenzungen, Höhenbegrenzungen, gegen die kaum ein Radfahrer je verstoßen könnte), sieht die Sache auf dem Radweg ganz anders aus. Jeden Augenblick kann eine normale Situation in eine lebensgefährliche umschlagen (s. o.). Dem muß der Radfahrer durch ständige erhöhte Aufmerksamkeit Rechnung tragen. Auf dem Radweg hat man zudem recht häufig in Situationen Vorfahrt, in denen ein Radfahrer auf der Fahrbahn keine Vorfahrt braucht - z. B. an Kreuzungen vor Rechtsabbiegern, die der Radfahrer auf der Fahrbahn links überholen kann bzw. die den Radfahrer auf der Fahrbahn gar nicht mehr überholen. Leider hat der Radfahrer auf dem Radweg von seiner Vorfahrt häufig nichts, da ihn hinter geparken Kfz kaum ein Kfz-Fahrer sehen kann. So wird jede der oben genannten Gefahrenstellen immer wieder zum Streßfaktor, sogar und gerade auf Radwegen in großen Straßen, auf deren Fahrbahn der Radfahrer streßfrei und ruhig dahingleiten könnte.

Mitunter wird der Radfahrer auch noch auf einen Slalomkurs oder eine Schlaglochpiste gezwungen. Beides ist nicht gerade selten und ist sehr gefährlich, weil der Radfahrer dadurch vom Verkehrsgeschehen abgelenkt wird. Gerade das darf auf einem Radweg nicht passieren, weil der dort fahrende Radfahrer für alle anderen Verkehrsteilnehmer mitdenken muß. Und - nicht vergessen: Fahrräder sind die letzten ungefederten Straßenfahrzeuge. Nicht selten sind Radwege zudem während der gesamten Wintersaison nicht oder nur eingeschränkt nutzbar, weil sie in dieser Zeit nicht geräumt sondern - ganz im Gegenteil - mit allem, was auch an anderer Stelle im Wege wäre (Laub, Schnee oder Granulat), zugeschmissen werden.

In Berlin habe ich aus meinen Beobachtungen und Erfahrungen im Laufe der Zeit gelernt, auch Umwege zu fahren, um Straßen ohne Radwege zu nutzen. Dabei hatte ich im Westen der Stadt immer eine reiche Auswahl unter erstklassigen Straßen. In Richtung Süden den Straßenzug Martin-Luther-Straße - Hauptstraße - Schloßstraße, Richtung Westen den Straßenzug Tauentzien - Kurfürstendamm oder die Kantstraße. Diese Straßen werden in Berlin von vielen kleineren Straßen ergänzt, die ebenfalls radwegefrei geblieben sind. So hatte ich zumindest in West-Berlin nur wenig Grund zur Klage. Ende der 80-er Jahre wurden unter der rot-grünen Koalition zudem viele Radwege in Kreuzungsbereichen entschärft und sogar einige Radwege (z. B. am Bayrischen Platz) zurückgebaut. Auch der eingangs geschilderte Radweg, der meinen schweren Unfall entscheidend mitverschuldet hatte, wurde schon im Jahr 1989 aus dem Bürgersteig getilgt. Nicht zuletzt entstand ein hervorragendes, wenn auch lückenhaft ausgeführtes Netz von Velorouten, die ersten mir bekannten Fahrradstreifen auf der Fahrbahn, die zum Radfahren auch breit genug waren (Südwestkorso), sowie gemeinsame Bus-/Radspuren (heute Umweltspuren genannt), auch in der Innenstadt. Die neusten Entwicklungen (die eine kombinierte Lkw-Bus-Taxi-Fahrrad-Spur auf der B1) in West-Berlin sowie eine herrlich zu durchfahrende B2 in Ost-Berlin zeigen Bilder aus dem Jahr 2004.

Dann verschlug mich das Schicksal nach Hamburg. Hier gab (und gibt) es an fast jeder großen Straße eine Radverkehrsanlage, sogar kleinere Straßen sind nicht vergessen worden. Wenn ich Radverkehrsanlage anstatt Radweg schreibe, hat dies seinen Sinn: echte Radwege passen in Hamburg häufig gar nicht auf den Bürgersteig. Dennoch wurde hier fast überall eine Radwegattrappe auf die ca. zwei Meter breiten Reste zwischen den halb auf dem Bürgersteig geparkten Pkw und den Gebäuden, Gartenzäunen oder Hecken gepinselt oder gebaut (siehe Artikel aus AktivRadfahren 4/91 Seite 12). Aber auch für noch schmalere Bürgersteige wurde eine Variante erdacht - der gemeinsame Geh-/Radweg. Hier ist dann endlich das Tal der Tränen erreicht. Und weil diese Radfahrerbehinderungswege so billig sind (man muß nur eine kleine Auffahrt zum Bürgersteig bauen, über die sich auch die Rollstuhlfahrer freuen, und ein Schild aufstellen), haben die sonst so sparsamen Pfeffersäcke sich auf diesem Gebiet sogar richtig spendabel gezeigt. Radfahren war in Hamburg nur sehr eingeschränkt möglich. Ich war frustriert. Meine Fahrleistung ging von ca. 6.000 km pro Jahr (Berlin) auf nur noch 1.500 km pro Jahr (Hamburg) zurück.

Das schlimmste aber ist - die Hamburger sind als Radfahrer so unfähig wie ihre Radwegeplaner (was zuerst da war, kann ich leider nicht herausbekommen). Sie fahren in allen Straßen - völlig unabhängig von Straßenoberfläche und Verkehrsbelastung - auf dem Bürgersteig herum. Ich verstehe das nicht.

Aber Hamburg reizte meinen Widerstandswillen ungemein.

So lernte ich vor allem eine Straße zu hassen - die Flurstraße. Ungefähr 4 km lang war sie die einzige schnelle Verbindung von Lurup, wo meine damalige Wohnung lag, nach Süden. Sie hatte aufgrund einiger Randbedingungen (Arbeitsweg, Einkaufsmöglichkeiten) dummerweise auch noch eine große Bedeutung für mich. Die Flurstraße läuft schnurgeradeaus nach Süden; sie hat eine relativ schmale Fahrbahn und noch schmalere Bürgersteige. Dennoch ist sie für den Kfz-Verkehr nicht unwichtig (ca. 14.000 Kfz/24Std.). Parkplätze wurden deshalb streckenweise auch noch halb auf den Bürgersteig verlegt, so daß für Fußgänger und Radfahrer z. T. nur ein ca. 1,20 m breiter Bürgersteigteil verblieb. Aber egal wie schmal - Platz für einen gemeinsamen Geh- und Radweg fand sich auch hier noch - siehe neuere Bilder aus der Flurstraße.

Ich habe dies in den Jahren 1994 bis 1997 immer wieder zum Anlaß zur Beschwerde genommen, d. h. ich habe mich an die als Straßenverkehrsbehörde (in Hamburg) zuständige Polizei gewandt. Das Ergebnis war zunächst nicht sehr ermutigend. Einzig dann, wenn ich einen Anhänger hinter mir her schleppte, durfte ich auch damals schon die Fahrbahn nutzen. Nun gut - ich tat den Verantwortlichen (hier wirklich im doppelten Sinne des Wortes gemeint) den Gefallen - auch wenn es mir immer unverständlich blieb, warum ich mit einem Fahrrad und einer Geschwindigkeit zwischen 25 und 30 km/h die Fahrbahn nicht benutzen durfte, aber mit einem viel breiteren Gespann und einer Geschwindigkeit zwischen 10 und 15 km/h.

Eine Wende brachte erst die StVO-Novelle vom 07.08.1997. Mit der Eingabe 762/97 vom 20.09.1997 brachte ich in der Flurstraße die Benutzungspflicht für den gemeinsamen Geh-/Radweg zu Fall. Aber es kam noch besser: im Bereich der sogenannten Elbvororte, d. h. im westlichen Teil des Bezirks Altona wurden sehr viele gemeinsame Geh-/Radwege aufgehoben. In manchen Straßen verschwanden die entsprechenden Schilder ganz, so daß die Bürgersteige wieder dem Bürger zum Steigen und Schreiten zurückgegeben wurden. Andere Bürgersteige sind nun für den Radverkehr freigegebene Gehwege (sog. Servicelösung). Die letztere der beiden Lösungen wurde auch für die Flurstraße gewählt. Interessanterweise hat sich in dieser Straße die Verteilung des Radverkehrs auf Fahrbahn und Bürgersteig zunächst nicht auffällig verändert. Viele Radfahrer fahren nun mal gerne auf dem Bürgersteig. Dies ist in der Flurstraße auch nicht ganz unsinnig, wenn ein Radfahrer langsam und unsicher fährt. Es gibt aber auch nicht wenige Radfahrer, die seit jeher der Fahrbahn den Vorzug geben - nun legal.

Das war schon ein schönes Zwischenergebnis. Aber es reichte natürlich bei Weitem nicht aus. Es gab noch immer viele schlechte Radwege mit angeordneter Benutzungspflicht, z. T. so schlecht, schmal und versteckt daß wohl nur wenige Kfz-Fahrer von ihnen Kenntnis genommen haben ... jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, ab dem jene reflektierenden blau-weißen Schilder von der Existenz dieser Machwerke Zeugnis ablegten. Nun machten die Kfz-Fahrer ihr angebliches Recht auf eine freie Fahrbahn auch dort geltend. Zum Glück waren im Hamburger Westen nur wenige Straßen so verunziert. Schlimmer sah es in den anderen Stadtteilen aus, in denen fast jeder Radweg ausgeschildert wurde. Und das hatte durchaus System: " Die Sicherheit der Radfahrer hat für uns mehr Gewicht als die sture bürokratische Erfüllung von Kriterien. Wenn ein Radfahrer auf einem holprigen, zu schmalen oder kurvigen Radweg sicherer aufgehoben ist, ordnen wir auch da die Benutzungspflicht an." (Christoph Holstein, damals Sprecher der Innenbehörde, zitert im Hamburger Abendblatt am 30.09.1998 im Artikel "Radler kontra Autos - Es geht vors Gericht"). Soviel Dreistigkeit und Überheblichkeit im Umgang mit dem Bundesrecht wäre ja eigentlich nur zum Lachen gewesen, wäre es dabei nicht vor allem um die Sicherheitsinteressen der Radfahrer (also auch um meine) gegangen. Und denen war durch die - nun rechtswidrigen - Benutzungspflichten in keinster Weise gedient, da FAHRzeuge (also auch FAHRende FAHRräder) abseits der FAHRbahn immer problematisch sind. Der K(r)ampf ging also weiter...

Die Aufnahmen (links) zeigen einige benutzungspflichtige Radwege im Bezirk Altona nach dem 01.10.1998. Die Aufnahmen entstanden zumeist im Zeitraum Oktober 1998 bis Oktober 1999 (nur eine wurde später durch ein qualitativ besseres Digitalfoto ersetzt). Die gezeigten Mängel sind m. E. innerhalb Hamburgs noch relativ harmlos, d. h. nicht repräsentativ. Es gibt - ich gebe es zu - auch in Altona noch ein paar schlimmere Radwege. Aber es sind diese Radwege, die mich am meisten behinder(te)n. Ich habe diese Auswahl getroffen, weil ich denke, daß ein jeder vor seiner Tür zuerst fegen sollte.

Einen weiteren Durchbruch brachten die im o.g. Abendblattartikel benannten Musterverfahren des ADFC, die sich (nicht) zufällig auf Radwege in den Bezirken Eimsbüttel und Hamburg-Nord bezogen (waren dort die Verältnisse doch noch schlimmer). Sie brachten die Anliegen der Hamburger Radfahrer öffentlichkeitswirksam vor Gericht. Und so wurden verschiedene Inititiven gestartet, den damals neuen Regelungen zum Durchbruch zu verhelfen. Eine für mich besonders wichtige Initiative war das sogenannte "Musterrevier", das Revier des Polizeikommissariats 21, das im wesentlichen die Stadtteile Altona-Altstadt, Altona-Nord und Ottensen umfaßt. Hier wurden die neuen Regelungen möglichst buchstabengetreu umgesetzt und "erprobt". Aus heutiger Sicht (Ende 2009) mag es lustig klingen, die Anwendung von Bundesrecht zu erproben. Aber diese Idee der Bürgerschaft (unter Anleitung ihres damaligen Abgeordneten Martin Schmidt) zeigt(e) Wirkung. Martin Schmidt ist ein besonders aktiver Förderer des Radverkehrs, der zwar selbst gerne auf Radwegen fährt, aber neue Ideen aufgeschlossen aufgreift. Und hier lag die Bügerschaft goldrichtig. Das Musterrevier wurde schon im Jahr 2000 nahezu entschildert (sogar in der Max-Brauer-Allee mit um die 30.000 Kfz/Tag), die Straßenverkehrsbehörden sahen Grausiges voraus - und es passierte nichts weiter. Es starb in den Folgejahren eine Radfahrerin - bei Unfall auf einer Gehwegefurt, weil sie verbotenerweise einen Gehweg befuhr. Man glaubt es kaum. Aber diese (inzwischen von der BAST allgemein bestätigte Erfahrung hat die Mitarbeiter in den Straßenverkehrsbehörden im Umgang mit Radwegbenutzungspflichten nachhaltig positiv beeinflußt. Sie sind inzwischen viel weiter, als viele Radfahrer, die noch immer meinen, auf dem Radweg ohne Licht besser dazustehen, als mit Licht auf der Fahrbahn.

Die Musterverfahren waren aber auch wichtig, weil das Umdenken in den Straßenverkehrsbehörden lange dauerte, und den dort tätigen Sachbearbeitern neben den Sicherheitsaspekten vor allem die Frage der Räumzeiten an Lichtsignalanlagen unter den Nägeln brannte. Sie gaben es wiederholt offen zu. Die Benutzungspflicht sei eigentlich nicht nötig, wäre da nicht das "Rä:m"-Problem. In den Richtlinien sind Radfahrer mit 14,4 km/h langsamer als Kfz (rund 36 km/h) und benötigen daher rechnerischlänger, eine kreuzende Straße zu queren - insbesondere, wenn diese Straße recht breit angelegt ist. Daher - so die Hamburger und Berliner (usw.) - Behördendenke, sollten Radfahrer wenigstens an den Kreuzungen mit Ampeln auf die Radwege gezwungen werden und dort die Lichtsignale für die noch langsameren Fußgänger beachten. Dies führte zu vielen " Stummelradwegen", vielen Widersprüchen in der Argumentation (lagen die Probleme bei der Radwegbenutzung doch vor allem an den Kreuzungen) und (zu) langen Rotzeiten für Radfahrer an den Ampeln (verschärft durch die flächendeckende Einführung von Bettelampeln auch an Kreuzungen).

Deshalb war es auch wichtig und richtig, die Musterverfahren irgendwann zu Gericht zu tragen, weil die Entscheidungen in den Jahren 1998/99 einfach nicht fielen. Nach (einer vom ADFC öffentlich inszenierter) Einreichung der Klagen gab die Polizei in einer der betroffenen Straßen (Gertigstraße) sofort nach. In den anderen Straßen (Eppendorfer Weg und Heußweg) mußte das Verwaltungsgericht Hamburg die Radwege in Augenschein nehmen und Urteile fällen. Die Kläger (nebenbei: einer ist heute Jura-Professor in Mannheim, der andere Justizsenator in HAmburg) gewannen die Prozesse in der ersten Instanz. Aber die Behörden wollten zunächst nicht klein beigeben. Und das Oberverwaltungsgericht Hamburg (OVG) beschäftigte sich erst überhaupt nicht mit der Sache, sondern versuchte den Klägern die Klagebefugnis abzusprechen. Tatsächlich mußte eines der Musterverfahren (im JAhr 2003) bis zum Bundesverwaltungsgericht getrieben werden, um das OVG überhaupt zur Beschäftigung mit der Sache zu veranlassen. Es gehört sicher nicht zu den Ruhmesblättern der Verwaltungsgerichtsbarkeit, daß sich daraufhin das OVG das verfahren beschleppte und sogar der Frage nachgehen wollte, ob denn die StVO (hier der für uns so wichtige § 45 Abs. 9 StVO) "zu unbestimmt" und daher verfassungswidrig sei, während sich die inzwischen Kläger und Beklagte (unter dem Druck der Erkenntnisse aus dem Musterrevier und der Politik - z.B. dem Bürgerschaftsabgeorneten Klaus-Peter Hesse) lägst einig waren. Die Schilder wurden im Jahr 2005 entfernt und die Verfahren einvernehmlich beendet.

Nun kam der schwierigste Teil: die Umsetzung der neuen Erkenntnisse in der Fläche. Durch Bauarbeiten für bessere Radwege war das kurzfristig überhaupt nicht machbar - aber eben auch nicht notwendig. Es konnten viele Schilder Weg. Hamburgweit wurden alle Radwegbenutzungspflichten in zweistreifigen Straßen überprüft und für unnötig befunden. Blieb noch das Problem der Ampelschaltungen, die eben vor einer (aufwendigen) Umprogrammierung erst (ebenfalls aufwenidig) geplant werden muß. Dennoch sind mittlerweile sehr viele Schilder von den Starßenrändern verschwunden. Und es tut sich noch immer etwas, sobald wieder ein paar Ampeln umgestellt sind.

In vielen der auf meinen Bildern gezeigten Abschnitten hat sich die "Radverkehrsanlage" bis heute nicht verändert, weil Bauarbeiten hier auch oft mangels Platz unsinnig gewesen w&aum;ren. Bis auf zwei der abgebildeten Abschnitte ist inzwischen (Stand Ende 2009) jedoch die Benutzungspflicht gefallen - und das in vielen Fällen schon vor 2005. In dem gezeigten noch immer benutzungspflichtigen Abschnitt wurde sogar der Radweg neu gebaut. Leider hat das aber auch nur drei oder vier Jahre gehalten, weil in Hamburg jeder Radweg auf Sand gebaut wird (und das ist kein Spruch sondern eine feststehende Tatsache!).

Nach nunmehr 15 Jahren K(r)ampf um die Radwegebenutzungspflicht fokussiert sich der Streit deshalb um die mehrstreifigen Straßen. Hier sind die Radwegebenutzungspflichten noch immer nicht aufgehoben. Es hat sogar einige deutliche Rückschläge gegeben. Deshalb muß der Kampf weitergehen. Zwar bin ich nunmehr aus Hamburg weggezogen, und habe den eigenen Kampf gegen die Benutzungspflichten eingestellt. Aber ich arbeite noch immer in dieser Stadt und bekommen vieles mit, was mir nicht gefallen kann. Und ich hoffe, daß viele über ganz Hamburg verteilt wohnende Menschen so handeln wie ich handelte. Beschwert Euch, zeigt die Mängel auf und erzwingt Handeln der Behörden, damit Radfahren in Hamburg wieder Spaß macht. Davon haben dann alle was - sogar Menschen, die selbst schon lange nicht mehr radfahren, nämlich weniger Lärm, weniger Schadstoffe, weniger Kohlendioxid, weniger Unfälle und weniger Streß.

Eigentlich bin ich ja ein sehr optimistischer Mensch. Während viele Radfahrer - bis hinein in die Reihen des ADFC - beklagen, die Änderungen der StVO seien viel zu zaghaft und deshalb wirkungslos, vertraue ich (mit vielen Mitstreitern im ADFC HAmburg) auf die §§ 39 Abs. 1 n. F und 45 Abs. 9 StVO (s. Rechtslage nach StVO). Diese Paragraphen gebieten den Behörden, den Verkehr durch Schilder nur dort zu lenken, wo dies aus Gründen der Verkehrssicherheit unbedingt notwendig ist. Wann das der Fall ist, steht für Radverkehrsanlagen in den zugleich geänderten Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO). So werden die notwendigen Beurteilungs- und Ermessensspielräume geschaffen, weil die wenigen dürren Sätze der StVO auf alle Straßen in Deutschland anwendbar sein müssen, ohne daß dadurch der Willkür Tür und Tor geöffnet würde - auch wenn sich dies nicht in allen Amtsstuben herum gesprochen haben mag. Der z. Zt. bestehende Zustand ist jedenfalls hinsichtlich der vierstreifigen Straßen noch immer nicht nur unbefriedigend, sondern auch rechtswidrig.

Leider hat sich eine meiner früheren Aussagen nicht bewahrheitet: " Sollten diese Widersprüche (Anm. des ADFC) Erfolg haben, könnte dies nicht nur für Radfahrer, die den Radweg verlassen wollen, ein Erfolg sein, sondern auch und gerade für die eifrigen Radwegbenutzer, weil die Städte und Gemeinden dann nicht mehr nach Belieben jeden Mist als benutzungspflichtigen Radweg ausschildern könnten, sondern erst mal die Radwege so verbessern müßten, daß sie ausgeschildert werden dürfen. Dann aber müssen sie eigentlich nicht mehr ausgeschildert werden, weil solche Radwege von den meisten Radfahrern gerne benutzt werden dürften.". So einfach ist das wohl nicht, wenn der Planer z.B. dem ruhenden Verkehr (einfacher: dem Parkplätzen) keinen Raum für den Radweg entreißen mag oder darf und Radwege auch nicht richtig befestigen darf, weil darunter die Leitungen liegen. Eine weitere inzwischen (zum 01.09.2009) wirksam gewordene "Fahrradnovelle" der StVO ermöglicht die Anlage von Radfahrstreifen und ermuntert auch dazu, diese qualitativ hochwertigen Flächen sogar in Hauptverkehrsstraßen von der Fahrbah abzuteilen und dem Radverkehr zur Verfügung zu stellen. Auf diesem Gebiet hat die Stadt Berlin einiges geleistet und (gemessen an der Unfallstatistik, dem Zuwachs des Radverkehrs und der Zufriedenheit der Radfahrer) gute Erfolge erzielt. Hamburg wird das also in rund 10 Jahren auch machen. Derzeit wird (von einer "grünnen" Bausenatorin jedenfalls erst einmal der Radweg entlang der Stresemannstraße aufgehübscht, ohne daß wirklich tiefgreifende Verbesseungen erzielt werden können, wie eigentlich alle sagen, die die Planung kennen.

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Immerhin konnte ich in den letzten Jahren in Hamburg schreiben: "wer mich besuchen will, muß im Bezirk Altona an jeder Kreuzung nur der Straße ohne Benutzungspflicht folgen bzw. die Straße mit Benutzungspflicht (die senkrecht zu meinen Wegen liegen dürfte) meiden. Wenn er rund 4 bis 5 Kilometer ohne jede Benutzungspflicht gefahren ist (weder in seiner Richtung noch senkecht dazu), ist er an meiner Wohnung vorbeigefahren und muß nur zwei bis drei Kilometer zurückfahren ;-)"

"Gute Radwege brauchen keine Benutzungspflicht."
(Zitat Ulf Dietze, bis 2000 Vorsitzender des ADFC-Landesverbandes Hamburg).

 

Erstes Urteil zur Benutzungspflicht ("Berliner Radwegeurteil") [Nachlieferung 2001]

Nachtrag Ende Januar 2001: jetzt ist endlich ein Urteil zu einigen Berliner Radwegen ergangen (Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28.09.2000 - VG 27 A 206.99, Verkehrsblatt 2001, 139, rechtskräftig), das meine von mir vor ca. 2 Jahren als optimistisch bezeichnete Auffassung zu einhundert Prozent unterstützt. Das wird bestimmt bitter für den Hamburger Senat; denn die Radwege, über denen hier der Stab gebrochen wurde, wären in Hamburg gehobener Durchschnitt.

Weitere Urteile zur Benutzungspflicht [Nachlieferung 2003]

Weitere Urteile verstetigen die mit dem Urteil des VG Berlin vom 28.09.2000 - VG 27 A 206.99, Verkehrsblatt 2001, 139; Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2001, 317 begonnene Rechtsprechung:

Einige mehr oder weniger abweichende Urteile können diesen Trend nicht mehr aufhalten:

Näheres unter "Rechtslage nach StVO"

 

Benutzungspflichten in Hamburg demnächst deutlich seltener?

Die Wende vom 13.02.2005

WamS 13.02.2005: Stadt muß Straßen für Radfahrer freigeben
Die Welt 14.02.2005: Innenbehörde gibt zwei Straßen für Radfahrer frei - weitere sollen folgen
TAZ 14.02.2005: Freie Fahrt für freie Radler
TAZ 14.02.2005: Radwege-Pflicht / Visionslose Heuchelei (Kommentar)
Hamburger Abendblatt 14.02.2005: Erfolg für die Radfahrer
Die Welt 15.02.2005: Die Asphalt-Kämpfe verschärfen sich
(Aufhebung der Radwegepflicht sorgt für Diskussionen - ADAC ist empört: Verkehrsfluß wird behindert)
TAZ 15.02.2005: Keine Verhältnisse wie in Peking
TAZ 15.02.2005: Autos ohne Vorfahrt

Allerdings versuchte der Sprecher der Behörde für Inneres (BfI) schon am 14.02.2005, den Geist, der da aus der Flasche gelassen wurde, ein wenig festzunageln. Es seien Einzelfallprüfungen notwendig. Nicht überall könne die Benutzungspflicht aufgehoben werden. Nun gut - dann halt Aufhehung der Benutzungspüflicht hier, Sanierung der Radwege dort. Mit so einem Arbeitsauftrag kann man der Intention der "Fahrradnovelle der StVO von 1997" wahrscheinlich sogarbesonders nahe kommen. Aber einfach so gibt es die Benutzungspflicht nun auch in Hamburg nicht mehr. Das hat auch die BfI erkannt. Neuere Äußerungen klingen daher schon deutlich mehr nach VwV-StVO, aber eben auch nach ganz selten Benutzungspflicht - so zum Beispiel zum Thema Bergedorf (u.a. Wentorfer Straße / B 207):

Bergedorf bald fast ohne Benutzungspflichten

Unter den Überschriften: "Radwegepflicht nicht mehr gerechtfertigt?" und "Benutzungspflicht wird zur Ausnahme" (HINWEIS zum Link: bei Nachfrage 2x "Ablage" eingeben) berichtet das Bergedorfer Zeitung über die langsam in Schwung kommende Entschilderung des Bezirks. Hier ein paar Schnipsel aus den Aussagen der Polizei lt. Bergedorfer Zeitung vom 06.06.2005:

" ... Nach aktuellen Richtlinien der Innenbehörde bedarf es der besonderen Gefährdung oder hoher Verkehrszahlen (18 000 Kfz am Tag), um die Benutzungspflicht zu rechtfertigen.
...
Die Existenz eines Radweges genügt nicht, Radler auf die Wege zu verweisen.
...
Eine Benutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wo Verkehrssicherheit und -ablauf es erfordern.
...
'Allein der Umstand, daß ein Radfahrer den Kraftverkehr behindert, reicht nicht aus' - nicht mal auf Hauptverkehrsstraßen. ... "

Und so fallen die Benutzungspflichten in Bergedorf, aber auch in Altona, z.B. in den Straßenzügen Baron-Voght-Straße / Heinrich-Plett-Straße und Schenfelder Landstraße (Ring 3) / Isfeldstraße (Ende Juli 2005).

Tatsache ist, daß rund vier Jahre später (Stand Februar 2009) nahezu alle zweistreifigen Fahrbahnen im Stadtgebiet für den Radverkehr freigegeben sind.

 

Was passiert, wenn man sich nicht wehrt

Was passiert, wenn man sich nicht wehrt, zeigt das folgende Bild aus Eimsbüttel. Das versucht in Altona jedenfalls keiner ungestraft! In Eimsbüttel gibt's das nach dieser Aufnahme nun auch nicht mehr (siehe Ergebnis einer Beschwerde).

Foto: Benutzungspflicht mit dazugehängter Widerspruchsbegründung - in Eimsbüttel, Mittelweg

 

Links zu weiteren Informationen:

AFDC: Radwege, Radwegbenutzungspflicht und Fahrbahnwahl;
Argumente gegen die Benutzungspflicht von Christoph Maercker;
AFDC-Hamburg u. a. mit seinen Musterverfahren;
Die Meckerseite mit dem meinen Schlägen in Hamburg, Lachendorf und Berlin sowie Galerie mit Fotos von Horrorradwegen aus ganz Hamburg;
Auflistung aller Fehler an Radwegen im Hamburger Bezirk Harburg Anfang 1998;
Fotogalerie über Horrorradwege aus Hamburgs Nordosten Stand 2003;
Rechtslage nach StVO.

Was man im Netz alles so findet. Hier zwei rund 25 Jahre alte Dokumente zum Radverkehr in Hamburg, die beide - aus unterschiedlichen Gründen noch immer nahezu aktuell sind:

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Ach übrigens:

Nieder mit Zusatzzeichen 1012.32
[Radfahrer absteigen].

Diese Seite wurde erstmals am 12.03.1999 ins Internet gestellt.
Diese Seite wurde teilweise aktualisiert am: 05.12.2009